Meine Zeit in Nepal neigt sich leider schon dem Ende entgegen – ich kann nicht glauben, dass schon wieder 4 Wochen vergangen sind.
Ich werde das Land vermissen. Nepal ist kein einfaches Land – Kathmandu ist laut, dreckig, chaotisch, und die umliegenden Berge sieht man kaum wegen der ungeheuren Luftverschmutzung; das Reisen im Land selber ist schon eine kleine Herausforderung; und Nepal als eines der ärmsten Länder der Welt hat seine eigenen Herausforderungen, die die Menschen hier täglich meistern müssen. Momentan zum Beispiel beschäftigt viele Menschen hier der desolate Zustand des öffentlichen Schulwesens – wegen meiner eigenen Erfahrungen ein Thema, das mich auch interessiert. Die Resultate des wichtigsten Schulabschlusses SLC (vergleichbar mit dem deutschen Realschulabschluss) wurden gerade veröffentlich, und nur 28% (!!) aller Schüler von öffentlichen Schulen haben den Abschluss geschafft, verglichen mit 92% an privaten Schulen (die wohl manchmal nicht viel kosten, und damit auch ärmeren Leuten zur Verfügung stehen). Ein sehr wichtiges Thema für ein Land, dem ich wünsche, dass es in den nächsten Jahren schaffen wird, die Lebenssituation seiner Bürger zu verbessern.
Nepal ist auch ein umwerfend schönes Land, mit Bergen, auf deren tiefroter Erde satt-grüne Vegetation wuchert, mit Dschungeln, Wäldern, einer unglaublichen Vielfalt an Tieren – Tiger, Leoparden, Elefanten, Hunderten von Vogelarten – und natürlich der Krönung, dem schneebedeckten Dach der Welt, dem Himalaya. Und Nepal hat pralles, interessantes Leben und bemerkenswerte Menschen mit ihren verschiedenen Philosophien und Weltanschauungen zu bieten.
Ich habe die letzten vier Wochen wieder im Stadteil Boudha verbracht, der mein Lieblingsstadtteil ist, und ein wenig Urlaub von meiner Auszeit genommen: Viel Zeit mit Lesen verbracht, oft auf einer Dachterrasse eines der zahlreichen Cafés und Restaurants um die Grosse Stupa herum, und die Leute betrachtet, die “die Kora machen” (siehe auch den Bericht über die Vollmond-Feierlichkeiten hier). Der grosse Platz ist fast immer erfüllt von dem Gesumme der Menschen, die Luft vibriert förmlich mit Atmosphäre, und ich könnte noch lange hierbleiben. Ansonsten habe ich viele DVDs geschaut (alle 5 Staffeln von Breaking Bad hintereinander – genial!), Leute zum Essen getroffen, hin und wieder mit Computerkenntnissen ausgeholfen, einmal die „ernsthafte“ Kamera in die Hand genommen, und das war’s eigentlich. Und viele viele Stunden bei der Planung meiner nächsten Reisen verbracht – gar nicht so einfach, Entscheidungen zu treffen, wo es wie wann hingehen soll, und alles zu koordinieren. Und was ich nicht vermissen werde, ist der “Kathmandu Belly”, mit dem ich mich bereits seit mehreren Tagen herumschlage.
So ruft die grosse Welt wieder, und ich werde in ein paar Tagen nach Taiwan aufbrechen. Das Land war eigentlich ein Lückenfüller, aber nachdem ich mir Bilder angesehen und Berichte anderer Reisender durchgelesen habe, bin ich jetzt sehr gespannt – ich wusste ausser “Made in Taiwan” eigentlich gar nichts über das Land, aber wenn es so schön ist wie auf den Photos, dann sollte ich eine interessante Zeit haben.
Danach geht es nach Indonesien – erst einmal ein Meditations- und Yoga-Retreat, ich werde zum ersten Mal seit meiner Schulzeit in einem Schlafsaal übernachten, mal sehen, wie ich mich dabei fühle. Dann möchte ich mir die besonderen Begräbnisrituale auf Sulawesi anschauen (vielleicht ein wenig morbid, aber so etwas fasziniert mich nun mal) und danach werde ich in West-Java ein paar Wochen wieder an lokalen Schulen Englisch unterrichten. Ich freue mich auf all diese Erfahrungen.
Apropos Erfahrung. Ich bin jetzt seit fast 6 Monaten unterwegs – wie die Zeit vergeht, unglaublich – und ich habe nicht nur viele tolle Dinge gesehen und Menschen kennengelernt, sondern merke auch eine Veränderung in mir. Als ich meine Pläne zur Weltreise bekannt gab, da sagten viele zu mir: Toll, Du hast Gelegenheit, Dich selber zu finden. Zu meinem eigenen Ungemach fand ich mich fast sofort: Dieselbe alte Gudrun mit all ihren kleinen (hüstel) Schwächen und Neurosen war mit mir unterwegs, und lies sich einfach nicht abschütteln. So begleitete mich oftmals ein innerer Monolog, der sich über Taxifahrer und Bettler und Touristennepper und hygienische Verhältnisse und überhaupt und sowieso aufregte. Es nervte selbst mich.
Ich glaube mittlerweile, dass das Ziel einer solchen Reise für mich nicht ist, mich zu finden, auch nicht, mich loszuwerden, sondern einfach, mit mir selber und der Menschheit klar zu kommen. Und dafür gibt es glaube ich wirklich nichts besseres als eine solche Reise, auf der man (jedenfalls wenn man nicht in einer Blase des Luxus unterwegs ist) ständig mit dem prallen Leben konfrontiert wird und man lernen muss, dass wenig so geht, wie man es selber möchte oder es sich vorgestellt hat, und man trotzdem seinen Humor nicht verlieren und sein Ego auf bescheidenere Masse zurechtstutzten sollte.
Ist nicht einfach. Aber ohne Herausforderungen ändert man sich nicht; wenn man sich in eine Höhle zurückzieht und fernab von allem lebt, ändert man sich nicht; wenn man sich aber herauswagt und die Dinge des Lebens annimmt, dann ist das manchmal schmerzhaft und manchmal nervig und von Zeit zu Zeit ruft die Höhle; aber jede Erfahrung ist tatsächlich eine gute Erfahrung, habe ich gelernt, auch die, die ich vielleicht genau in dem Moment, in dem sie passierte, zum Teufel gewünscht habe (ich sage nur: der Weg nach Junbesi…).

My little silver buddha
Vielleicht ist es dem einen oder anderen Leser aufgefallen, dass ich das Wort “Buddhismus” relativ oft erwähne. Es bleibt nicht aus, ich bin mittlerweile seit 6 Monaten ständig vom Buddhismus der einen oder anderen Ausrichtung umgeben, und vielleicht sollte es so sein; denn ich habe angefangen, mich ernsthaft für dessen Philosophie zu interessieren, und zwar speziell die des tibetischen Buddhismus’. Ich denke nicht, dass ich je eine gläubige Anhängerin irgendeiner Religion werde, dazu fehlt etwas bei mir, und ich habe nicht vor, mir die Haare abzurasieren (obwohl das endlich das Problem mit dem Fön beseitigen würde), in eine Kutte zu steigen und den ganzen Tag “om mani padme hum” zu murmeln. Aber die Philosophie des Buddhismus ist enorm interessant und vielseitig, und mittlerweile glaube ich, dass so ziemlich jedes jemals geschriebene Selbsthilfebuch im Endeffekt auf ihr basiert, denn die Konzepte sind einleuchtend und hilfreich für das tägliche Leben.
So habe ich im gewissen Sinne den Buddhismus als mein persönliches Selbsthilfeprogramm entdeckt. Heisst nicht, dass ich jetzt ein anderer Mensch bin (ausser dass ich jetzt ständig eine Lesebrille brauche), und garantiert kein besserer Mensch, und was mehr als 40 Jahre gedauert hat, um das „Kunstwerk“, das sich „Ich“ nennt, entstehen zu lassen, löst sich nicht in ein paar Monaten wieder auf; aber zumindest merke ich, dass sich meine Gedanken und Perspektiven und inneren Monologe langsam ändern. Wie sagte der Dalai Lama – Buddhismus kann helfen, ein glücklicherer Atheist zu werden – das möchte ich haben.

My travel companions
Ich lese auch gerne die Blogs anderer Reisender, und merke, dass ich mit dieser Entwicklung nicht alleine bin. Deswegen bleiben glaube ich viele dem Langzeit-Reisen verfallen – es ist nicht das Sightseeing, nicht das “einfachere” Leben (so einfach ist das nicht immer, und die Heimat und Freunde fehlen einem schon immer mal wieder, trotz all der Leute, die man unterwegs trifft), dies ist nicht eine Reise mit dem Traumschiff zu Korallenriffen und weissen Stränden (obwohl diese durchaus vorkommen können) – für mich sind es die täglichen oft exotischen Herausforderungen, Widrigkeiten und insbesondere neuen Denkansätze, Philosophien und Welten, die so eine Faszination ausüben und neue Anregungen geben.

So, soviel dazu. Ich melde mich das nächste Mal aus Taiwan, ich wünsche eine gute Zeit bis dahin!
Hallo Gudrun,
wow – ich kann gar nicht aufhören, deine Reiseberichte zu lesen und bin schon gespannt auf die nächsten Updates. In jedem Post fühlt man sich fast selbst ein bißchen mittendrin! 🙂 Genieß es weiterhin… mit aleln Höhen und Tiefen die so eine Reise zu so etwas besonderem machen!
Viele Grüße
Johanna
ps: ich habe dein “Inspirations-Buch” von Winnemuth gelesen … sehr ansteckend!
Hi Johanna, vielen Dank für Deinen lieben Comment! Lass Dich ruhig anstecken, lohnt sich :). Hoffe es geht Dir gut. Viele liebe Grüsse in die Heimat!
dankeschön! war letzte woche in deiner alten heimat um nach dem rechten zu sehen 😉 alles gut hier, bald steht urlaub in good old austria an! viele grüße in die ferne!
Hallo Gudrun,
Du turnst bereits in Sulawesi rum, aber wir holen auf und sind bald wieder aktuell.
Es scheint, zu Deinem ganzen eh schon umfangreichen Wissen ist noch eine gehörige Portion Weisheit hinzugekommen geprägt durch Deine Erlebnisse. Kann sich Mensch nicht anlesen.
Toll, wie Du bisher alles (auch mitunter miserabel) gemeistert und durchgehalten hast.Wir sind sehr gespannt, wie es weitergeht.Dein Blog ist schlicht superklasse, auch wenn wir selten kommentieren.
Dickes Danke für Deine geteilten Eindrücke und Erfahrungen verpackt in schöne Erzählungen.
Liebe Grüße Jürgen und Aliki.
Liebe Aliki und Jürgen,
danke euch sehr für eure Kommentare! Ja, ich gestehe, es ist manchmal nicth einfach, und es gibt Tage, an denen ich missgelaunt und genervt bin, einfach weil das Leben ausserhalb des für einen Üblichen schon recht anstrengend sein kann. Meine Grundeinstellung hingegen ist sehr viel glücklicher als früher, ich geniesse es, ich bin so froh, dass ich mich auf die Reise gemacht habe, und diese Erfahrungen mache. Schreibe dies gerade auf einer Terrasse in Cianjur auf Java, rechts von mir meckert eine Ziege die ganze Zeit vor sich hin, rechts von mir schreit ein kleines Kind, eben wurde ich besucht von einer ganzen Horde von Kindern, die alle Photos verlangt haben, ein Australier malt gerade eine Wand an hier, die ganze Nachbarschaft schaut fasziniert zu, Katzen streichen die Wände entlang auf der Suche nach Essen, die Moschee wird gleich wieder über Lautsprecher das Mittagsgebet in die Welt hinausschallen, und das Leben ist schon nicht völlig schlecht :).
Wünsche euch einen schönen Sommer in Potsdam und weiterhin alles Gute, bleibt in Kontakt!