Der Schrei des Schweins

_MG_3817Tana Toraja – eine Gegend im Hochland von Sulawesi, Inselgebiet im Norden von Indonesien, berühmt für Hochlandkaffee und für die besonderen Beerdigungszeremonien der Einwohner. Letzteres der Grund, warum ich mich auf die 9-stündige Busfahrt von Makassar nach Rantepao begab. Der Bus zur Abwechslung modern und mit extrem weicher Federung – nicht ideal für die Strassen Sulawesis und die hiesigen halsbrecherischen Fahrmanöver, der Bus schaukelte wie ein Schiff bei stürmischer See, irgendwann war er voll mit kotzenden Menschen, 9 Stunden lang. Der Grund für die vielen Duftsäckchen, die von den Lüftungen hingen, bekam klar für mich.

Ich stieg wackelig, aber mit allem Mageninhalt intakt in Rantepao aus, und schaute mir für die nächsten drei Tage die Zeremonien, Gräber und Dörfer der Umgebung an, meist zusammen mit anderen Touristen, die man schnell in den Gästehäusern kennenlernt und mit denen man sich gut zwecks Kostenteilung zusammenschliessen kann.

_MG_3795Indonesien ist in der Hauptsache muslimisch. Ausnahmen sind u.a. Bali – hinduistisch – und Tana Toraja – zu 75% christlich, aber eigentlich ziemlich animistisch. Und dies drückt sich in den Beerdigungszeremonien aus, die bis zu einer Woche dauern, und ein blutiges Ende nehmen für Schweine und Bullen. Touristen sind gerne gesehen bei Beerdigungen, bringen sie doch neben Gastgeschenken (statt Tieren meist Zigaretten oder Zucker) auch Glück für die Familie. Ein Wort der Warnung – sensitive Tierfreunde, denen das Herz blutet bei dem Gedanken, dass unsere Steaks und Koteletts und Lederschuhe mal glücklich über die Felder galoppiert sind, sollten einen sehr weiten Bogen um Tana Toraja machen.

_MG_3492Beerdigungen sind Big Business. Die ganze Familie nebst Freunden kommt zusammen, mit ihren Ritualen dafür zu sorgen, dass die Verstorbenen in der Oberwelt ankommen, und nicht in Puya verbleiben, einem mythischen Ort weit im Süden hinter dem Horizont. Beerdigungen sind teuer, denn es müssen eine vorgeschriebene Anzahl von Schweinen und Bullen geopfert und grosse Feierlichkeiten veranstaltet werden. Daher wird der einbalsamierte Leichnam oft wochen- und monatelang zuhause im Totenzimmer aufbewahrt, bis genug Geld zusammen ist, um die vorgeschriebenen Rituale genau durchführen zu können (in dieser Zeit gilt der Tote als „krank“ und wird immer noch besucht und mit Nahrung versorgt, der offizielle Tod tritt erst nach der Beerdigung ein). Die Zeremonien und Opferungen sind in 6 Kategorien unterteilt – angefangen von Kindern, für die ein Schwein geopfert wird, bis hin zur Oberschicht, deren Feiern Hunderte von Büffeln und Schweinen zum Opfer fallen.

_MG_3489Während die Familie eine Prozession durchführt, werden an anderer Stelle die Tiere geschlachtet. Die Schweine schreien erbärmlich, den ganzen Weg bis zur Schlachtstelle; die Büffel sind still. _MG_3509Das Sterben selber geht recht schnell – den Büffeln wird die Kehle durchgeschnitten, die Schweine erhalten einen Stich ins Herz. Dann werden die Fellhaare abgebrannt und die Tiere zerteilt. Das Fleisch wird an die Feiernden serviert, oder der Familie gegeben.

_MG_3568Bei hochwertigen Beerdigungen werden auch Stierkämpfe durchgeführt – sie haben allerdings wenig gemein mit den vollblütigen spanischen Kämpfen, die einem jetzt in den Sinn kommen könnten. Zwei sehr friedliche Bullen gehen kurz aufeinander los, beschliessen dann einen gegenseitigen Waffenstillstand, und verbringen den Rest der Zeit damit, schüchtern in der Gegend herumzuschauen und zu grasen. Wenn das Geschrei der Menge zu gross wird, suchen sie die Flucht ins Feld._MG_3552
Nach den ersten beiden Kämpfen hatten wir genug, aber die Menschen der Gegend werden es nicht müde, viel Geld auf die Kämpfe zu wetten – ich bin mir nicht sicher, was das Protokoll bei flüchtenden Bullen ist – wer weiter rennt?_MG_3561

Beigesetzt werden die Toten in Gräbern, die die verschiedensten Formen annehmen können: Ein Holzsarg in einer Höhle; ohne Sarg in einem geschlagenen Felsengrab; in Särgen, die von der Höhlendecke oder von Holzgestellen hängen; in Gegenden ohne Felsen und Höhlen werden die Toten in der Erde bestattet und ein kleines Toraja-Haus auf das Grab gesetzt; Kleinkinder werden in Bäumen beigesetzt, die dafür gebohrten Löcher schliessen sich innerhalb weniger Jahre, und die Gräber wachsen zusammen mit den kleinen Leichen in den Himmel.

Oben links im Bild die verschlossene Öffnung eines Babygrabes, die innerhalb weniger Jahre völlig zuwachsen wird.

Oben links im Bild die verschlossene Öffnung eines Babygrabes, die innerhalb weniger Jahre völlig zuwachsen wird.

Höhlengräber – die hängenden Särge fallen meist innerhalb weniger Jahre von der Decke, oder die billigen Holzsärge lösen sich auf, aus dem Grund liegen überall Schädel und Knochen. Eigentlich müsste die Familie jetzt noch einmal ein Ritual veranstalten und die Toten wieder ordentlich beerdigen, aber die meisten haben dazu kein Geld.

Höhlengräber – die hängenden Särge fallen meist innerhalb weniger Jahre von der Decke, oder die billigen Holzsärge lösen sich auf, aus dem Grund liegen überall Schädel und Knochen. Eigentlich müsste die Familie jetzt noch einmal ein Ritual veranstalten und die Toten wieder ordentlich beerdigen, aber die meisten haben dazu kein Geld.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für sehr reiche Toraja werden Tao-Tao angefertigt – Holzstatuen als Abbild der Toten. So eine Statue kostet 64 Büffel, ist dementsprechend sehr begehrt, und die meisten antiken Statuen wurden schon lange gestohlen, heutzutage sind meist nur Repliken zu sehen._MG_3692

Diese Dame ist die Tao-Tao Statue ganz links im Bild, weisses Kleid und Brille

Diese Dame ist die Tao-Tao Statue ganz links im Bild, weisses Kleid und Brille

Alle 6 Tage findet in Bolu der Tiermarkt statt, hier werden die Büffel und Schweine für die Zeremonien verkauft. _MG_3771

Albino Büffel sind hochgeschätzt und sehr teuer – bis zu 8000 US Dollar kann so ein Exemplar kosten – das monatliche Durchschnittseinkommen in Indonesien ist knapp 250 US Dollar, zum Vergleich.

Albino Büffel sind hochgeschätzt und sehr teuer – bis zu 8000 US Dollar kann so ein Exemplar kosten – das monatliche Durchschnittseinkommen in Indonesien ist knapp 250 US Dollar, zum Vergleich.

_MG_3774Die Büffel sind unglaublich friedliche Tiere, brav stehen sie herum und wissen nicht, was für ein Schicksal auf sie zukommt (selbst während der Zeremonie). Die Schweine sind da schon aufmerksamer – kann auch daran liegen, dass sie bereits fertig verzurrt auf die Käufer warten. Ihre elenden Schreie hallen über den Markt.

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_MG_3601Die Toraja-Dörfer – die Häuser haben eine ungewöhnliche Form, das Dach ähnelt einem Schiff, oder auch Bullenhörnern. Diese Bauweise ist in Angedenken an die Vorfahren, die To ri aja, was soviel bedeutet wie „die von oben kamen“. Man muss nicht Däniken sein, um dabei an Raumschiffe zu denken, aber es soll wohl prosaischer nur der Norden gemeint sein. Die vorderen Stützbalken sind oft mit den Bullenhörnern von Begräbnissen geschmückt, und zeigen den sozialen Status der Hausbesitzer. _MG_3440Eine Familie hat meist eine ganze Gruppe dieser Häuser in einem Dorf, welches sich in zwei Reihen um einen offenen Platz gruppiert.

Die Reisfelder in Toraja

Die Reisfelder in Toraja

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Eine indonesische Familie, die mich buchstäblich auf der Strasse aufsammelte, als ich gerade eine Grabstätte verliess, mich mit zum Essen nahm, und mich noch weiterhin liebevoll betreut und mich wieder nach Makassar zurückgenommen hätte, aber ich wollte es nicht zu sehr ausnutzen. Diese Grosszügigkeit Fremden gegenüber ist wirklich bemerkenswert.

Eine indonesische Familie, die mich buchstäblich auf der Strasse aufsammelte, als ich gerade eine Grabstätte verliess, mich mit zum Essen nahm, und mich noch weiterhin liebevoll betreut und wieder nach Makassar zurückgenommen hätte, aber ich wollte es nicht zu sehr ausnutzen. Diese Grosszügigkeit Fremden gegenüber ist wirklich bemerkenswert.

Ein Besuch von Tana Toraja lohnt sich auf jeden Fall, schon allein der schönen Landschaft wegen, und natürlich um die Zeremonien zu sehen. Hier noch ein paar praktische Tips: Ein Wagen mit Fahrer und Benzin kostet zwischen 350.000 – 400.000 Rupien (ca. 35-40 Dollar), ein Führer ca. 400.000 Rupien am Tag. Die Anfangspreise sind meist höher, daher handeln. Ein Führer empfiehlt sich nur für die Beerdigungszeremonie, alles andere kann man selber erkunden. In Rantepao kann man am Kreisverkehr oder auf der Strasse entweder einen Minibus oder eines der “Taxis” finden (Privatwagen mit gelben Nummernschildern) – sie haben meist feste Strecken, daher am besten mit einem Zettel mit Ziel herumlaufen und den Fahrern zeigen. Die Fahrten kosten zwischen 3.000-10.000 Rupien, man kann aber auch den ganzen Bus bzw. Wagen mieten, dementsprechend verteuern sich natürlich die Preise. Nach Batutumonga z.B. – fantastisch schöne Ausblicke auf die Reisfelder, absolut empfehlenswert – kostet das 50.000 Rupien (ca. 5 Dollar) / Passagier bei 5 Leuten.

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