Om Mani Padme Hum. Ich fühle mich sehr entspannt, und die Entspannung hat einen Grund – Yoga- und Meditationsretreat auf Gili Air, kleine Insel Nähe Lombok, Indonesien. Die Insel ist ein kleines Paradies: Keine Autos, nur Pferdekarren und Drahtesel; weisser Strand, türkisblaues Wasser, Korallenriffe, viele bunte Fische, Palmen, kleine Bars und Restaurants, traumhafte Sonnenauf- und -untergänge, eine warme Brise – es geht kaum besser. Schon neidisch?
Aber ich war nicht (nur) zum Spass dort, das Bootcamp rief.
Tag 1
Ankunft der Gesundheits-Willigen: Eine Gruppe von 20 Frauen (kein einziger Mann traute sich in unsere Mitte, abgesehen vom Eigentümer des Retreats, Bindu); 20 Frauen also, Alter 20 bis ungefähr Mitte 50, versammeln sich auf Gili Air, um sich eine Woche lang dem Programm von Bindu, Sarah und Lena zu unterwerfen.
Wir sind eine internationale Truppe, die meisten aus Australien, sowie Kanada, England, Mexiko, Finnland, Schweiz, und eben eine Deutsche. Die Anlage wird ausgecheckt (schön), die Teilnehmerinnen checken sich untereinander (wie das halt so ist), die ersten Meditationstechniken werden erklärt und durchgeführt, das Abendessen wird serviert – bis zum Abschiedsessen 6 Abende später das einzige Abendessen, bei dem wir reden dürfen. Nach anschliessender Abendmeditation mitsamt tibetanischen Klangschalen geht es schweigend zur frühen Nachtruhe – bis nach der Morgenmeditation am nächsten Tag soll nicht gesprochen werden. Ich finde das ganz angenehm, weil ich kein grosser Freund von Small Talk bin und kein Problem damit habe, einige Zeit schweigend zu verbringen. Ich schlafe in einem 6-er Bettenzimmer in einem der Bungalows – ich hatte mir vor Beginn etwas Gedanken darüber gemacht, aber tatsächlich funktioniert es die ganze Woche problemlos.
Tag 2
Morgens um 5 (in Worten: fünf) Uhr erklingen die Glocken zum Weckruf, kurz darauf schweigender Abmarsch zum Strand, zur Sonnenaufgangs-Meditation. Ich finde heraus, dass meine Gedanken um diese frühe Uhrzeit schon extrem munter sind und hin und her hüpfen, ausserdem ist der Sonnenaufgang so schön – keine Chance auf Meditation. Ich nehme mir vor, öfters mal etwas früher aufzustehen (es gibt Vorsätze, die man macht, damit man etwas hat, das man wieder fallenlassen kann).
Danach 1.5 Stunden Yoga – irgendwie hatte ich bei der Buchung des Bootcamps das Wort “Yoga” nicht richtig wahrgenommen, für mich sind das 1.5 Stunden Quälerei, die aber trotzdem Spass machen, irgendwie. Und dann endlich Frühstück – als ausgesprochene Frühstücks-Liebhaberin ist mir jetzt, 3.5 Stunden nach Aufstehen, mittlerweile schwindelig vor Hunger, und ich stürze mich auf Müsli, Brot und Ei und schaufele es recht unelegant in mich hinein.
Und schon eilt der nächste Höhepunkt herbei: Neti poti, oder auch “Nasendusche” – man schüttet sich Salzwasser in ein Nasenloch und schaut fasziniert zu, wie es aus dem zweiten Nasenloch wieder herausläuft. Nicht schön anzusehen, soll aber gegen Krankheit, Falten und graue Haare helfen (hätte ich das doch bloss schon Jahre früher gewusst!).
Danach noch eine Stunde Gruppengespräch über Dinge wie Wasser, Feuer, Erde, Luft, und dann ab zum nächsten Höhepunkt: Damit wir der Natur wieder näher kommen, gehen wir schnorcheln – ein Traum, Schildkröten, Korallen, bunte Fische – einfach toll. Natur, ich bin Dir nahe!
Danach einige Stunden zur freien Verfügung, die meist mit Mittagessen, Schnorcheln, allgemeinen Herumhängen verbracht werden. Nachmittags eine Stunde Aktivität am Strand – während der Woche betreiben wir dabei Yoga, Tai Chi, Qi Gong, und ähnliches; 1 Stunde Sonnenuntergangs-Meditation, schweigendes Abendessen, Nachtmeditation, anschliessendes Schweigen und Bettruhe gegen 21 Uhr.
Bootcamp halt.
Die ersten Teilnehmerinnen haben bereits aufgegeben und sind noch nicht mal zur Morgenmeditation erschienen – angeblich sind nicht wir es schuld.
Tag 3
Es ist Weltmeisterschaft angesagt – das Spiel Deutschland : Argentinien beginnt um 3 Uhr morgens Ortszeit. Ich kann vor lauter Aufregung kaum schlafen und marschiere zur Nachtzeit über die Insel, Ziel Bar, um mir das Spiel anzuschauen. Leider haben viele Leute diese Idee und die Bar ist vollbesetzt, aber ich quetsche mich dazwischen und habe Freude an dem Spiel, und natürlich noch mehr an dem Ergebnis. Die Weltmeisterschaft hätte ich gerne in Deutschland erlebt, aber das ist Klagen auf hohem Niveau – auch aus der Ferne macht das Feiern Spass.
Um 5:45 Uhr Ortszeit ist das Spiel zu Ende, und ich geselle mich zu meinen Kolleginnen an den Strand, wobei an Meditation nicht zu denken ist, ich feiere mental mit den Menschen in Deutschland.
Der Rest des Tages verläuft ähnlich wie der Vortag. Die Stunden Freizeit verbringe ich damit, durchs Internet zu surfen und mir Berichte und Bilder glücklicher Menschen in Deutschland anzuschauen.
Tag 4
Das Besondere am heutigen Tag ist die Reiki-Session, die ich für mittags gebucht habe. Ich stehe Reiki etwas skeptisch gegenüber, aber Natalie, die lokale Reiki-Expertin, macht einen sympathischen Eindruck, also gebe ich dem Ganzen eine Chance.
Es geht hier um die 7 Energiezentren (Chakren) im Körper – blockierte Energien sollen erkannt und mittels Handauflegung befreit werden.
Natalie schwingt einen Kristall über meine Chakren – die gute Nachricht: Alle sind frei, nur zwei sind etwas unfreier als die anderen und bedürfen der Säuberung. Seltsamerweise scheint die gesamte Gruppe dieselben Chakren blockiert zu haben, vielleicht ein westliches Problem? Aber nun gut.
Ich spüre keine besonderen Energieströme, ausser einem kurzen Aufflammen von Schmerz in der Magengegend, und bin nach der Sitzung sehr entspannt.
Am Nachmittag verbrennen wir kollektiv unser Ego (bzw. Papier mit unseren Gedanken) am Strand. Im Laufe der Nachmittagsaktivitäten geht es mir dann aber auf einmal nicht mehr sehr gut, ich habe furchtbaren Durst, bekomme starke Kopfschmerzen, und abends fange ich an, mich aus heiterem Himmel zu übergeben und “die Hühner zu füttern”, wie es eine unserer Trainerinnen ausdrückt, da ich es nicht rechtzeitig zur Toilette schaffe. Da am nächsten Tag “Schweigetag” ist, bittet mich der Eigentümer, doch bitte noch dabeizubleiben, um die Instruktionen dazu nicht zu verpassen. Mit einem leichten Anfall von Selbstmitleid – und während ich mich diesmal über die Kloschüssel beuge – überlege ich, warum es eigentlich so ist, dass insbesondere die “erleuchteten” Menschen, die täglich kluge Sprüche und Weisheiten über das Leben von sich geben, diejenigen sind, die im Notfall am wenigstens Mitgefühl zeigen. Meine Kolleginnen schleppen Medikamente herbei und spenden Trost. Nach den Instruktionen flüchte ich endlich Richtung Bungalow, füttere unterwegs unfreiwillig noch einmal die Hühner, und versinke endlich im Bett.
Tag 5
Als die 5 Uhr Morgenglocke erklingt, springe ich aus dem Bett – mir geht es hervorragend. Alles sehr seltsam. Das Essen am Vortag kann es nicht gewesen sein. Angeblich kann Reiki so eine Reaktion wie bei mir auslösen, soll aber rar sein, und bei mir Skeptiker hätte ich es nicht erwartet. Wie auch immer, mit meinen blitzblanken Energiezentren geht die Meditation diesen Morgen richtig gut, und ich habe ausserdem eine gute Begründung, diesen Morgen Yoga ausfallen zu lassen (schwächlich, ich weiss).
Heute ist Schweigetag – wir dürfen kein Wort sprechen, nicht untereinander, aber auch nicht mit Verkäufern, Kellnern, etc. Auch nicht Musik hören, und nicht Lesen. Ansonsten wird dasselbe Programm durchgezogen wie an den anderen Tagen, mit Ausnahme natürlich der Gruppendiskussion. Es ist ein wunderschöner Tag, ich verbringe viel Zeit mit Schnorcheln und am Strand sitzend und die Schönheit der Insel bestaunend. Wir sollen den Tag nützen, um “uns selber zu finden” etc. Als Alleinreisende ist der Tag für mich weniger Besonders, ausser dass ich die Kellner davon überzeugen muss, dass ich wirklich stumm bin, damit sie mein verzweifeltes Zeigen akzeptieren.
Am Nachmittag machen wir eine stumme “108 Manifestationen” Übung, um ein Ziel oder Affirmation im Leben zu festigen – ich nehme mir vor, mich von den ganzen Chips und fettigem Essen und Kuchen und Pommes etc. loszueisen und zur Abwechslung mal gesundes Essen zu versuchen.
Vor dem Abendessen wird immer eine Danksagung gesprochen, jedesmal in der Muttersprache durch eine der anwesenden Teilnehmerinnen. An diesem Abend wird die Danksagung mittels Gebärdensprache ausgedrückt, was in dem Augenblick sehr schön ist.
Tag 6
Das Schweigen wird erst nach der Yogastunde aufgehoben. Ich hatte erwartet (vielleicht befürchtet), dass jetzt alle ihre verschiedenen Erlebnisse und esoterischen Erkenntnisse heraussprudeln, aber für die meisten war ein Tag Schweigen nichts Ungewöhnliches, daher bleiben die Gespräche dankenswert normal. Ansonsten ein üblicher Tag.

Entspannt bei einem Zitronensaft mit Frederika – auch eine Weltreisende, die ich in Kathmandu traf und die mich auf die Idee brachte, den Kurs auf Gili Air zu buchen. Ich traf sie hier wieder – sie hat sich ein kleines Häuschen auf der Insel gemietet und wird für eine Weile dort bleiben – verständlich, Gili Air ist schon fast perfekt (das “fast” ist den grossen schwarzen Spinnen gewidmet, die ich dort – glücklicherweise nur ausserhalb von Häusern – sah).
Tag 7
Freitag – der letzte volle Tag und sehr viel lockerer. Zum Abendessen darf diesmal sogar gesprochen werden, danach sitzen wir zünftig im Kreis und singen zur Gitarrenmusik. Wir alle haben ein schönes Gefühl der Gemeinschaft. Es war eine wirklich gute Gruppe, die in dieser Woche zusammengekommen ist.
Tag 8
Aufbruch. Die Morgenmeditation steht uns frei, es erscheinen sogar einige früh morgens am Strand, inklusive mir selber, aber wir verbringen unsere Zeit damit, Photos zu machen. Yoga fällt aus, nach dem Frühstück ist der Kurs vorbei, einige Teilnehmerinnen reisen früh ab, ich verlasse mit einigen anderen gegen Mittag die Insel und nehme die Fähre zurück nach Bali.
Es war eine schöne Woche, und eine schöne Erfahrung. Neben der Meditation – die tatsächlich von Tag zu Tag einfacher fiel – tat auch Yoga gut – ich konnte schon nach einer Woche Muskelansätze fühlen, wo vorher ausschliesslich Schwabbel angesagt war – und ausserdem haben sich neue Freundschaften gebildet, es wurden Erfahrungen ausgetauscht, Tipps gegeben und einfach zusammen gelacht und manchmal gelitten. Ich würde so etwas in der Zukunft noch einmal machen, und habe mir vorgenommen, Meditation von nun an Teil meines Lebens zu machen (mit Yoga warte ich noch ein wenig).
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