Man weiss, dass man ein (temporäres) Zuhause gefunden hat, wenn einen sogar die Bettler vor der Tür freudig mit „welcome back“ begrüssen. Ich bin wieder zurück aus Tibet, verbringe ein paar Tage im Rokpa Guesthouse in Kathmandu, und werde Mittwoch mittels lokalem Bus und 3-Tage-Marsch zur Schule in Junbesi aufbrechen, um dort ungefähr einen Monat lang Englisch zu unterrichten, bei IT zu unterstützen, und vielleicht die Schulbibliothek aufzuräumen.
Ich hatte in den letzten Tagen keine Internet Verbindung, daher hörte ich erst nach meiner Rückkehr von dem Unglück, das sich auf der nepalesischen Seite des Mount Everest zur gleichen Zeit zugetragen hat, als ich auf der tibetischen Seite stand und ehrfurchtsvoll den höchsten Berg der Welt ansah – (vermutlich) 16 Sherpas starben, als sie den Weg für die Mai-Bergsteiger vorbereiteten. Natürlich erschüttert mich das, insbesondere weil ich hier viel enger am Geschehen bin und besser als früher verstehe, nicht nur die Tragödie selber, sondern auch die Folgen für die Familien, die oft den einzigen Geldverdiener verloren haben. Der nepalesische Staat hat versprochen, jeder betroffenen Familie 400 Dollar Unterstützung zu zahlen, was jedoch nicht weit reichen wird. Die Schule in Junbesi gehört zu jenen, die von Sir Edmund Hillary für die Unterrichtung der Sherpa-Kinder gegründet wurden, daher werden dort auch die Folgen zu spüren sein. Ich habe mir vorgenommen, vor Ort herauszufinden, wie ich helfen kann.
In der Zwischenzeit, hier ein paar mehr Eindrücke von meiner Reise durch Tibet – es war anstrengend, eisig kalt, unter stellenweise sehr fragwürdigen hygienischen Verhältnissen – und eine unvergessliche Reise, mit Höhepunkt natürlich Qomolangma selber, der Heiligen Mutter des Universums, dem Dach der Welt im Reich des Schnees – Mount Everest. Es ist ein grossartiger Augenblick, zum ersten Mal den Himalaya (übersetzt Ort oder Reich des Schnees) vor sich zu sehen.
Mount Everest selber wirkt aus der Ferne wenig beeindruckend, aber wenn man dann davor steht, dann fehlen einem die Worte, und sich wieder zu trennen fällt schwer – die Faszination, die dieser Berg seit Jahrzehnten auf viele ausübt, ist nachvollziehbar.
Dabei habe ich selber keinerlei Ambitionen, mich auf den Weg nach oben zu machen – nicht nur, dass das jüngste Unglück wieder aufzeigt, wie gefährlich auch heute der Berg ist und bleibt. Ich habe in den letzten Tagen so viel nach Sauerstoff gejapst – auf einer Höhe über 5000 Metern bringt einen schon der Kampf mit den schweren Bettdecken beim Umdrehen im Bett fast um; nicht davon zu sprechen, auch nur 30 Höhenmeter nach oben zu stapfen – das panikartige Gefühl, wenn der Körper nicht genug Sauerstoff erhält – ich bin nicht für heldenhafte Höchstleistungen geboren worden. Abgesehen davon, dass sich Höhenkrankheit anfühlt wie ein schwerer Kater, ohne dass man auch nur einen Tropfen Alkohol getrunken hat. Aber ich bewundere jetzt um so mehr die Leute, die sich der Herausforderung stellen.
Hier ein paar Momentaufnahmen und Gedanken:
Klobericht 1
Über die Toiletten tibetischer Art habe ich ja schon geschrieben. Jetzt weiss ich auch, dass die Tibeter die Klos auch in geselliger Art nutzen. Ich hockte da gerade so, als die tibetische Klofrau hereinkam und direkt neben mir Weihrauch anzündete; sie blickte auf mich herunter, ich blickte zu ihr hoch, wir lächelten uns freundlich an (wollte sie mir etwas sagen mit dem Weihrauch? Kurz darauf hatte ich arge Mühe, meinen Lieblingsring von ihren Fingern zu befreien. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun). Klobericht 2
Wieder eine Toilette tibetischer Art, diesmal in einer verlassenen Gegend nahe des Himalaya, das Klohaus aus Zement gegossen, mit einem rechteckigen Loch in der Boden-Mitte. Ich staunte nicht schlecht, als mich durch das Loch eine Kuh anstarrte… das erwartet man nicht unbedingt in seiner „Kloschüssel“. Ich schaffte ein rasches Bild, dann nahm sie reiss-aus. Ich beschloss, mit sofortiger Wirkung Vegetarierin zu werden. Klobericht 3
Ein hübscher Fels in der Natur ersetzt hervorragend die oftmals desolaten tibetanischen Klos.
Klobericht 4
Warum wird man eigentlich nach einer Weile besessen von dem Gedanken an Klos?
Checkpoints
Es gibt in Tibet keine Radar-Kameras. Stattdessen gibt es alle 40 Kilometer oder so Polizei-Checkpoints, wo mittels Stoppuhr die Zeit von einem Checkpoint zum nächsten gemessen und daran die Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt wird. Dies führt dazu, dass man zwischen den Checkpoints immer wieder Pinkelpausen einlegt, um nicht zu schnell zu fahren. Jetzt könnte man entsetzt darüber sein, dass die Chinesen – so technologisch progressiv – wirklich noch keine Radarkameras aus Deutschland kopiert haben, aber halt: Diese Checkpoints eignen sich natürlich auch gut dazu, festzuhalten, wer wann wohin gefahren ist… ein Schelm, der Böses dabei denkt. Übrigens kann man auch zahlen und sich die Pinkelpausen sparen.Ein Restaurantbesuch
Ein Restaurant in der Nähe des Sitzes des Panchen Lama. Wir treten ein, es sind ansonsten keine Kunden da, nur die (wahrscheinliche) Besitzerin nebst junger Tochter und (vielleicht) die Mutter, die auch die Köchin ist. Wir werden angestarrt, als seien wir gerade vom Mars gefallen. Schliesslich wagt sich die Besitzerin näher, und starrt uns weiter wortlos an. Wir versuchen unser Tibetisch: „Momo?” (Das einzige tibetische Gericht, dessen Namen wir kennen – verdammt schwer, was?). Wir werden weiter wortlos angestarrt. „Momo? Momo?“. Starren. Wir wollen fast aufgeben, da ruft die junge Tochter: „Momo!“ Wir nicken eifrig: „Yes, Momo, Momo!“. „Momo! Momo!“ Freudiges Strahlen auf allen Seiten, wir verstehen uns. Es kommen tatsächlich Momos, die wir unter angestarrt-werden essen, und sie schmecken köstlich.Polygamie
In einer Region in Tibet dürfen Frauen bis zu 3 Ehemänner haben. Bis 1959 durften die Männer auch bis zu 3 Ehefrauen haben. Ich stellte mir vor, was wohl passierte, wenn die drei Ehefrauen auch jeweils drei Ehemänner hatten, die jeweils drei Ehefrauen hatten, die jeweils… usw. Schnell kann das ganze Dorf miteinander verheiratet sein, die Auswirkungen auf die nächsten Generationen sind nicht zu überblicken.
Die Erlaubnis der Polygamie für Frauen klingt erst mal erstaunlich progressiv, aber wenn man weiterfragt, stellt man fest, dass das Gegenteil der Fall ist: Es ist so, dass sich mehrere Brüder eine Frau teilen, und nicht, dass Frauen sich beliebige drei Männer aussuchen dürfen. Das Ganze hat ökonomische Gründe – so kann ein Bruder das Feld bestellen, ein Bruder sich um das Haus kümmern, und ein Bruder durch die Gegend reisen, und doch ist zu Hause alles in Ordnung, und für Nachwuchs ist gesorgt. Was die Frauen dazu sagen? Wer weiss.Experimente
Cola fliesst bei über 4000 Metern Höhe den Strohhalm hoch, Keksbeutel beulen sich von alleine (wir haben sie aber nicht zum Platzen bringen können), Wasserflaschen drücken sich selber ein, Wasser kocht bei ca. 87 Grad Celsius. Nur einige der Dinge, mit denen wir Spass hatten.
Bestattungen
Nein, nicht wieder ein ausführlicher Bericht mit Bildern, aus dem Grund, weil der Besuch einer Bestattungsstätte durch Touristen von den Chinesen verboten wurde. Trotzdem dachte ich mir, dass ich das Bestattungsritual der Tibeter erwähne, denn ich finde es eine weitere interessante Variante davon, wie verschiedene Religionen mit dem Tod oder den Toten umgehen (Warnung: Sensitive Menschen könnten sich leicht unwohl fühlen).
In Tibet werden die Toten mittels Himmelbestattung der Wiedergeburt entgegengeführt. Ein Lama liesst aus dem Buch der Toten, um die Seele zum Verlassen des Körpers zu bewegen; dann wird der Leichnam von Leichenbestattern zerteilt und Geiern zum Fraß übergeben (in Tibet gilt der Geier als heiliger Vogel). Diese tragen den Verstorbenen in das Bardo, einen Zustand zwischen Tod und Wiedergeburt.
Der praktische Hintergrund waren einmal die harte Steppenerde und der Mangel an Brennholz – Tibet liegt durchschnittlich über 4500 Meter hoch, und es gibt sehr wenige Bäume oder Büsche, dafür sehr viel Kälte. Mittlerweile sind mythische und religiöse Begründungen in den Vordergrund getreten. Die Himmelsbestattung gibt es anderswo insbesondere noch bei den Parsen in Mumbai (hier sind allerdings mittlerweile praktisch die Geier ausgegangen, was ein echtes Problem darstellt); in der Mongolei, wo sie früher ebenfalls üblich war, ist sie grösstenteils durch die Erdbestattung abgelöst worden.
Buddhismus
Ein Bericht über Tibet ohne Erwähnung des Buddhismus ist kein Bericht über Tibet. Ich möchte keine lange Abhandlung machen, sondern nur ein paar Bilder zeigen. Tibet ist ein extrem gläubiges Land – das scheint oft alles, was den Leuten geblieben ist. Sehr viel Geld wird von sehr armen Leuten an die Klöster gegeben, überall stehen Gebetsmühlen, werfen sich Leute auf den Boden, erbitten Pilger Geld. Die überlebenden Tempel und Klöster sind wunderschön, mit vielen goldenen Abbildern von Buddhas, Bodhisattvas, Dämonen.





Kälte
Es ist kalt in Tibet. Sehr kalt. Wir waren im April da – technisch gesehen Frühling, gehört aber noch zur Wintersaison – und es war sehr sehr kalt. Leider halten die Tibeter nichts von Heizung – obwohl überall Kuh- und Yakdunghaufen herumliegen, werden diese nur in der Küche eingesetzt (fürs Feuer!), und nicht als allgemeines Heizmittel. Leider halten die Tibeter auch nichts von Handschuhen – eine endlose Jagd durch Gyantse, nur um ein Paar aufzutreiben – oder Mützen – hier wurde ich erst in Shigatse fündig; dafür gibt es aber lange gefütterte Unterhosen, die mir die Beine aufgekratzt haben – wahrscheinlich die Rache des Yaks. Je weiter man sich von Lhasa entfernt, desto seltener gibt es auch warmes Wasser, und irgendwann gibt es gar kein Wasser mehr aus der Leitung, sondern es wird einem nur ein Eimer mit kaltem Brunnenwasser übergeben, um wenigstens das Klo saubermachen zu können (sofern es denn eines gibt). Die Nächte verbringt man unter einem Berg von Bettdecken, die einem die letzte Luft rauben.
Aber all das ist vergessen, wenn man sich die – buchstäblich – atemberaubende Landschaft betrachtet, oder vor dem Mount Everest steht – die Mühsal lohnt sich, es ist ein unvergesslicher Trip, in einem Land, in dem die Menschen freundlicher sind als es die rauen Umstände vermuten liessen.
China
Und schliesslich noch ein Wort zu China: Ich möchte mich nicht einmischen in die langen Argumente, Stolperfallen, und generell das politische Minenfeld Autonomes Gebiet Tibet. Eigentlich wurde Tibet schon 1720 von den Chinesen besetzt. Es mischten sich dann mal wieder die Briten ein, bevor in 1913 Tibet stolz die Unabhängigkeit verkündete. China hielt sich still, bis 1949 unter Mao der chinesische Anspruch erneut aufflammte; in 1950 marschierte China ein, und Tibet wurde „integriert“. In 1959 kam es zum Aufstand der Tibeter gegen die chinesischen Besatzer, zehntausende Tibeter starben, der Dalai Lama floh nach Indien, wo er seitdem eine Exil-Regierung in Dharamsala führt; Klöster und tausende Kulturschätze wurden vernichtet. Offiziell widerspricht kein Land der Eingliederung Tibets in China; inoffiziell unterstützen zumindest viele Länder die tibetische Exilregierung.
Die Präsenz Chinas ist unverkennbar. Nicht nur die Checkpoints, allgegenwärtigen Militärbauten, die chinesischen Schriftzeichen, die auf allen Schildern mindestens doppelt so gross sind wie die tibetischen; der chinesische Bürokratie- und Ordnungswahn (der Grenzübergang von Tibet nach Nepal ist ein Wunder, das man erlebt haben muss – man kommt aus der gefliessten, ordentlichen, genau reglementierten chinesischen Emigrationshalle ohne Übergang in das komplette Chaos von Nepal – zwei Welten prallen aufeinander, und der Tourist taumelt hindurch).
Der chinesische Stempel hat sich auch auf die Städte gedrückt – Lhasa, Shigatse (die zweitgrösste Stadt), Gyantse – es sind einfach – Pardon – hässliche neue Städte, mit unpersönlichen Strassen, Geschäften voll von billigem Zeugs, laut plärrender chinesischer Volksmusik, funktionalen Einheitswohnkasernen. Die tibetischen Stadtteile sind klein, dafür aber wirklich fein, mit engen Gassen, alten tibetanischen Häusern, kleinen urtypischen Restaurants, alten Tempeln – voller Charme und Atmosphäre. Ich hoffe sehr, dass sie nicht den Weg alter Stadtteile in China gehen und niedergewalzt werden – es wäre eine erneute Tragödie für das Land.
Und noch ein Wort zum Schluss: Der Panchen Lama ist nach dem Dalai Lama die zweithöchste Autorität in Tibet, und in geistlicher Hinsicht steht er sogar noch über diesem (sagen einige). Es kann (eigentlich) nur einen geben, aber weil sowohl die Chinesen als auch die Tibeter einen Panchen Lama ernannt haben, gibt es jetzt zwei, und beide leben in Beijing, was ich ohne Kommentar lasse. Dies lässt interessante Rückschlüsse darauf zu, was wohl passieren wird, wenn der jetzige Dalai Lama einmal nicht mehr bei uns weilt, und seine Reinkarnation gesucht und gefunden wird…
VielenDankfürdiesevielfältigenundunterhaltsamenEindrückeunddiewunderschönenBilder
sorryaberausirgendwelchenGründenkannichwederLeezeichennochSatzzeicheneingeben
Hallo, das weiss ich auch nicht – vielleicht mal Ihr Keyboard ueberpruefen? Vielen Dank fuer Ihr anhaltendes Interesse und Kommentare!