Erlebnisse mit einer Mapuche-Familie

IMG_3558An dieser Stelle wollte ich eigentlich davon erzählen, wie ich mehrere Wochen mit einer Mapuche-Familie gelebt und was ich davon alles gelernt habe, aber leider kam alles anders als geplant; so ist dies eine Erzählung darüber, wie alles anders kam, mit ein paar philosophischen Fragen am Ende (und keinen Photos – kam ich nicht mehr zu).

Mapuche sind eine der 14 Ur-Stämme Chiles, die schon hier waren, bevor die Europäer Chile entdeckten und für sich beanspruchten. Heute sind diese Urstämme in der Minderheit, und wie in vielen Ländern, scheint das Zusammenleben der Urbevölkerung mit den Neuzugewanderten nicht reibungslos zu verlaufen. Mir war im Vorfeld von Problemen berichtet worden – die Mapuche (und andere Stämme) fordern ausdrücklich ihr Land zurück und, was viele Chilenen unverständlich finden: Sobald sie es haben, verkaufen sie es für viel Geld, was so interpretiert wird, dass es ihnen wohl nicht um ihr Land, sondern nur um Geld geht (eine Interpretation, die man nicht von der Hand weisen kann). Weiterhin hiess es, Mapuche seien allgemein unfreundlich (anderen) Chilenen und Ausländern gegenüber, und wollten sich nicht integrieren. Es gab aber auch Stimmen, die von alten Traditionen sprachen, und dem Recht auf Selbstbestimmung.

Ich wollte mir gerne selber eine Meinung bilden und dazu eine Weile bei einer Mapuche-Familie leben und als Freiwillige aushelfen, und so suchte ich im Internet nach einer Gelegenheit. Nicht einfach, aber schliesslich fand ich eine Reiseagentur in Santiago, die anbot, dass man bei einer einheimischen Familie leben und arbeiten könne, im Gegenzug für frei Essen und Unterkunft. Normalerweise vermeide ich es, meine Freiwilligenengagements durch eine Agentur regeln zu lassen, aber in diesem Fall schien dies die einzige Möglichkeit zu sein. Ich wurde mit der Organisation einig; das Ganze war nicht kostenlos, ich zahlte einen Betrag, von dem ein Teil an die Mapuche fliessen sollte.

So weit, so gut. Leider ist wenig im Leben so einfach, wie man es gerne hätte. Erst hiess es, sie hätten eine Mapuche-Familie gefunden, die mich gerne aufnehmen wollte. Je näher es jedoch darauf zuging, desto weniger schien die Familie interessiert zu sein, und am Ende meldete sie sich gar nicht mehr. Also wurde kurz vor meinem Einsatz hektisch eine Ersatzfamilie gesucht – ich hatte Visionen, wie ich einfach vor der Tür einer Mapuche-Familie abgeliefert würde, die natürlich super-begeistert sein würde, eine nur stockend Spanisch sprechende Deutsche bei sich aufzunehmen. Drei Tage vor Einsatz wurde mir jedoch gemeldet, dass sich tatsächlich eine wunderbare Gelegenheit gefunden hätte, ich würde bei Eliseo und seiner Frau und Kindern wohnen, könnte beim Aufbau seines kleinen Ladens mithelfen, sowie bei der Vermietung von typischen Mapuche-Hütten an Touristen. Alle würden sich freuen, alles wäre ganz wunderbar. Wundervoll.
Ich schrieb eine mehr oder weniger akkurate spanische Email an Eliseo, stellte mich vor, und wir verabredeten, dass er mich in Puerto Saavedra, 10 Busstunden in Süden von Santiago, abholen würde.

Ich schwang mich rechtzeitig vor Abfahrt in den Nachtbus, versprach mir selber im Laufe der Fahrt, dass ich bei weiteren Busfahrten so weit wie nur möglich von der Toilette entfernt sitzen würde (Geruch!), überlebte den Schnüffelhund, der nach ca. 7 Stunden Fahrt auf einmal mitsamt seinem Besitzerpolizisten durch den Bus lief (und wahrscheinlich bei dem Gestank nichts anderes mehr wahrnahm), und kam mitten in einem traumhaft schönen Sonnenaufgang nach 11 Stunden Fahrt in Puerto Saavedra an. An der Endhaltestelle warf mich der Busfahrer aus dem Bus und fuhr davon, und da stand ich nun mit meinem Gepäck auf einer staubigen Strasse, nicht im Nirgendwo aber viel war nicht los, alles noch geschlossen, und keiner war da, der sich über meine Anwesenheit gefreut hätte. Hm.

Ich rief die Reiseagentur an, und bat um Hilfe. Sie riefen auch schnell zurück: Eliseo konnte leider nicht kommen, irgendein Problem in der Familie, aber er würde sich darum kümmern, dass ich irgendwie abgeholt würde. Notfalls könnte ich auch noch ca. 5 Stunden warten, es gäbe einen Bus am Tag an mein Endziel. Super. Ich erhielt dann einen Text, dass Eliseo jetzt doch in seinem Wagen unterwegs wäre, um mich abzuholen.

Eliseo kam ca. 1 Stunde später tatsächlich zu Fuss auf mich zu – ich erkannte ihn daran, dass er etwas murmelte, dass nach irgendeiner verstümmelten Version meines Namens klang, und da dieser nicht gerade gewöhnlich ist, musste er es sein. An diesen Gedanken klammerte ich mich in den nächsten 30 Minuten, denn er nahm mein Gepäck, brachte es zu einem klapprigen Pick-Up, warf es auf den Rücksitz, und auf einmal kam ein mir unbekannter Mann, stieg in den Wagen, und fuhr davon. Ohne mich. Während ich etwas entgeistert meinem entschwindenden Gepäck nachsah, versicherte mir Eliseo, dass der Mann nur tanken fahren würde, keine Sorge, kein Problem. Ich fragte, etwas doof, etwas spät: „Tu eres Eliseo?“ (Du bist Eliseo) – sicher ist sicher – und er versicherte mir, dass er er sei. Gut.

Eliseo steuerte mich jetzt zum Supermarkt, ich sollte Essen kaufen, für mich, und – wie ich in meinem holprigen Spanisch verstand – auch für die Familie. Echt? Wir hatten eigentlich vereinbart, dass ich frei Essen und Logis hätte? War ihm nicht bekannt. Ich rief wieder einmal die Organisation an, erklärte, und gab den Hörer weiter. Danach wurde mir versichert, dass alles ein Missverständnis sei, nur falls ich besonderes Essen wollte, speziell Deutsches oder so, dann sollte ich das einkaufen. Wollte ich nicht. Eliseo drängte mich weiter sanft Richtung Supermarkt. Ich bin nicht immer völlig blöd, also kaufte ich eine Notration für mich ein: Pasta, Tomatensosse, Schokolade, Bier. Damit kann man alles überstehen.

Als ich aus dem Laden kam, war da kein Eliseo mehr zu sehen, und kein Wagen, und kein Gepäck. Ich dachte: „Schei..e“. Ich dachte: „Wie kann man nur so blöd sein“. Ich überlegte schon, wie ich es wohl erklären würde: Ja, da war dieser Mann, der klang so, als wenn er eine Version meines Namens murmeln würde, aber vielleicht war es auch was ganz anderes, nein, ich kannte ihn nicht, habe ihn noch nie gesehen, habe keine Identität überprüft, aber ja, habe ihm mein ganzes Gepäck gegeben… schwierig. Während ich also die Strasse auf und ab lief, da kam auf einmal Eliseo aus einem Geschäft – puh. Der Wagen und mein Gepäck tauchten auch irgendwann wieder auf, und wir klapperten los Richtung Isla Huapi, ca. 30 Minuten von Puerto Saavedra entfernt.

Schliesslich kamen wir in meinem neuen Zuhause an. Wirklich in der Mitte des Nirgendwo, ein staubiges Haus. Ein älterer Mann kam mir entgegen. Leider verstand ich ihn dann kaum, und im Verlauf des Tages immer weniger – mein holpriges Spanisch hatte bei seinem Mapuche-Spanisch keine Chance. Jedenfalls erklärte mir Eliseo, dass ich bei seinen Eltern wohnen würde, wo gerade auch verschiedene Geschwister, Neffen und Nichten waren und allesamt in drei Zimmern hausten (ein viertes wurde an mich abgetreten), er selber wohne hier nicht. Ah, sollte ich nicht eigentlich bei ihm wohnen? Nein. Und bei seinem Laden mithelfen? Nein, er hat keinen Laden. Auch keine Frau, und keine Kinder. Ach, und bei der Vermietung der Hütten, sollte ich da wenigstens helfen? Nein. Ach? Was sollte ich dann machen? Im Haus helfen. Ich schaute mich verstohlen um – kein Zweifel, dieses Haus hatte Hilfe dringend nötig, aber ich war noch nie eine gute Putze… Abwarten und Tee trinken. Eliseo verabschiedete sich, ich lächelte seine Eltern etwas hilflos an, die mir Matetee zu trinken gaben, den ich nicht durch den Mate-Strohhalm ziehen konnte, aber es war mir peinlich, um Hilfe zu bitten. Eine Tochter kam hinzu, fragte mich Fragen, die ich in meinem besten Spanisch beantwortete, aber nach 5 Minuten fiel ihr nichts mehr ein, was sie noch fragen konnte. Mir selber gingen irgendwann auch langsam die Fragen aus, insbesondere weil mein Wissbegehren nach den speziellen Traditionen der Mapuche nicht recht ankamen.

Dann nahm das Drama seinen Lauf. Ich fragte sie, ob sie eigentlich das Geld von der Organisation erhalten hätten. Falsche Frage. Erstens hatte ich missverstanden, und das Geld wurde nicht an die Familie, sondern eine Mapuche-Organisation gezahlt. Eigentlich hätte das keinen Unterschied machen sollen, insbesondere da ich ja im Gegenzug zu Kost und Logis arbeiten wollte. Stellte sich heraus: Es machte einen Riesenunterschied. Die ganze Familie wurde auf einmal ganz aufgeregt. Was für eine Organisation, sie kannten sie nicht, so war das nicht abgesprochen, das war hier wohl Betrug, so ginge das alles nicht… usw., usw. Nach mehreren Gesprächen mit der Reiseagentur glätteten sich die Wogen etwas, aber die Stimmung war um mehrere Grade kühler geworden, und sollte sich auch nicht mehr erwärmen. Es ging der Familie jetzt nur noch um eines: Offenbar hatte ich Geld gezahlt, aber sie profitierten nicht direkt davon. Im weiteren Verlauf verschwand zum Beispiel das Klopapier, und ich musste zahlen, um neues zu erhalten. Aber wirklich unangenehm war, dass das Verhalten der einzelnen Familienmitglieder mir gegenüber jetzt schroff und kurzangebunden war.

Ich bat, ob ich etwas für sie tun könnte, und so steuerten wir die Apfelbäume an, und für die nächsten Stunden sammelte ich tonnenweise Äpfel vom Boden auf. Danach betrachtete ich mir den familiären Kuhtrieb, dann ging es zum Abendessen. Mittlerweile wurde ich fast völlig von der Familie ignoriert, meine Versuche, ein Gespräch anzufangen, wurden einsilbig beantwortet, bis ich auch keine Lust mehr hatte. Ich verabschiedete mich früh und ging auf mein Zimmer.

Die Reiseagentur, mit der ich öfters an dem Tag in Kontakt war, bot mir daraufhin an, zu einer anderen Familie zu gehen, allerdings klang es nicht so, als wäre ich dort unbedingt willkommener. Oder, als Alternative, zu einem Nationalpark bei Valdivia, einer der offenbar schönsten Gegenden Chiles. Dort könne ich mit anderen Freiwilligen und den Rangern zusammenwohnen und am Eingang des Nationalparks mit den Touristen helfen, oder mithelfen, den Nationalpark sauber zu halten. Ich sagte, ich würde darüber schlafen – ich gebe normalerweise nicht so schnell auf, und aus Erfahrung weiss ich, dass sich solche Situation meist über Zeit entschärfen und man trotzdem ein schönes Erlebnis haben kann.

Ich war nach langer Busfahrt und ungewohnter körperlicher Arbeit so erschöpft, dass ich 8 Stunden tief und fest schlief. Am nächsten Morgen dachte ich darüber nach, was ich in den nächsten zwei Wochen machen wollte. Ich überdachte noch einmal meine Situation bei dieser Familie – nichts, was man nicht aushalten kann, auf jeden Fall charakterbildend, aber auch recht isoliert, mit wenig Familienanschluss – oder lieber in eine für ihre Schönheit berühmte Gegend, wo ich eher das einsetzen konnte, was mir Spass macht – Kontakt mit anderen, mit denen ich auch noch sprechen konnte? Ich entschied mich für Valdivia, und schickte der Organisation eine SMS.

Der nächste Morgen wurde noch recht unangenehm – meine Interaktion mit der Familie reichte vom ignoriert werden bis hin zu einer von ihrer Seite hitzig geführten Belehrung, welche Mapuche Organisation ich denn nun gezahlt hatte und welche ich gefälligst zu zahlen hatte – und als ich ihnen mitteilte, dass ich ja eh gehen würde, gab es Nicken von allen: Gut dass Du gehst. Ich sagte daraufhin ein paar Worte in Deutsch, um mir zuliebe mal einen Moment meinen Gefühlen Luft zu machen – ist gut gegen Magengeschwüre – stand auf und fing an zu packen.

Nach einem kühlen Abschied nahm ich mein Gepäck und zerrte es bis zur Haupt-Schotterstrasse, wo vielleicht einmal alle drei Stunden ein Auto vorbeikommt, setzte mich hin, um auf den Bus zu warten, der in einigen Stunden kommen sollte, und tat, was man tut in diesen Situationen: Öffnete ein Bier. Nur wenige Minuten später und bevor ich zur Schokolade kommen konnte, geschah das Wunder, und ein Kleinlaster fuhr vorbei – ich streckte den Daumen raus, der Laster hielt an, ein Mann sprang raus, wuchtete mein Gepäck auf die Ablagefläche hinten, ich sprang rein, vergass in der Hast sogar mein Bier auf der Strasse, und los gings. 30 Minuten später war ich wieder in Puerto Saavedra, gab den beiden Männern aus Dankbarkeit meine restlichen Bierdosen, und schlug mich im Rest des Tages bis Temuco und danach bis Valdivia durch, wo ich mir erst einmal ein Zimmer in einem Hostal nahm, um mich zu erholen. Von meinem Erlebnis im Naturpark in Valdivia wird der nächste Blogeintrag berichten.

Schade, dass es so gelaufen ist. Ich weiss, dass ich vom Verhalten einer Familie nicht auf einen ganzen Volksstamm schliessen kann, und nachdem ich ein wenig Ruhe zum Nachdenken hatte, kam ich darauf, dass auch ich mich anders hätte verhalten sollen, ich hätte zum Beispiel besser dafür Sorge tragen können, dass das Geld an die „richtige“ Organisation ging. Trotzdem hinterlässt das Ganze einen etwas bitteren Nachgeschmack, leider, wobei ich mich im Nachhinein frage, was genau eigentlich die Reiseagentur vorher abgesprochen hatte – jedenfalls nicht allzu viel für ihr Geld, soviel steht fest.

Die Mapuche führen momentan einen erbitterten Streit mit der chilenischen Regierung über ihr Land, und Bestrebungen nach Unabhängigkeit von Völkern, die „vorher da waren“, gibt es genug auf der Welt. Und natürlich, die Mapuche waren schon lange vor den Spaniern da, die Mitte des 16. Jahrhunderts Chile eroberten. Aber was ist mit den Völkern, die schon lange vor den Mapuche vor Ort waren, und damals von ihnen verdrängt wurden (und die gab es)? Vielleicht auch schon lange her, aber in Relation zu der Dauer der bewohnten Erdgeschichte das Zucken einer Wimper. Was macht eigentlich ein Stück Land so begehrenswert, dass der reine Zufall, der uns hier hat geboren werden lassen, dazu führt, dass wir für den Rest unseres Lebens unsere Identität daran festmachen, es mit Blut und Leben verteidigen, uns besonders fühlen, nur weil wir gerade auf DIESEM Stück Stein und Erde zur Welt kamen? Was gibt uns das Recht, dieses Land UNSER Land und das unserer ungeborenen Kinder in der x. Generation zu nennen? Die Welt ändert sich, Grenzen ändern sich, wenn wir lange genug zurückgehen, ändern sich ganze Kontinente – wann wird es Zeit zu akzeptieren, dass sich das Rad der Zeit mal wieder gedreht hat und die Umstände so sind wie sie sind? Soll nicht heissen, dass ich mich nicht verteidige, wenn mich jemand aus meinem Haus schmeissen und von meinem Land vertreiben will, aber sollte der Streit wirklich in der 20. Generation immer noch weitergehen? Wäre schön gewesen, dies zu diskutieren, vielleicht finde ich noch jemanden, der mir diese Fragen beantworten kann.

5 responses to “Erlebnisse mit einer Mapuche-Familie

  1. Hi, liebe Gudrun,
    das sind aber sehr tiefsinnige Fragen und es gibt sicherlich ein sehr großen Spektrum von Antwortenmöglichkeiten. Ich persönlich bin erst mal froh, dass Dir nichts passiert ist und Du gut bist Valdivia durchgekommen bist. Ich hoffe, dass Du keine solchen Erfahrungen mehr hast.
    Liebe Grüße, Dagmar

    • Hatte ja sonst nix zu tun ausser über solche Fragen nachzudenken… Danke, danach wurde es nicht viel besser, aber gehört alles dazu. Viele liebe Grüsse – Gudrun

  2. Hi,

    super Geschichte, nur wenn Du sie nicht erlebt hättest, wäre auch nicht schlimm gewesen.

    Bin schon gespannt auf Deine Erlebnisse im Nationalpark.

    Gruß aus Wien

    Alexander

  3. Tja, dann sein froh, dass du dich zur kurzfristigen Abreise entschieden hast, sonst hättest du vielleicht doch noch ein Hausarbeitsdiplom unter erschwerten Bedingungen gemacht… Neues Ziel, neues Glück…. Alles Gute Manuela

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