Ich mag Süsskartoffeln, man kann herrlich leckere Dinge mit ihnen herstellen. Und die Taiwanesen mögen Süsskartoffeln ganz besonders, angeblich soll Taiwan die Form einer Süsskartoffel haben (ein nicht wirklich poetischer Gedanke). Man kann hier auf der Strasse heisse Süsskartoffeln kaufen wie anderswo heisse Kastanien. Nur mit dem Unterschied, dass bei uns heisse Kastanien eigentlich ein Winterangebot sind, während es hier die heisse Süsskartoffel auch im Sommer gibt.

Süsskartoffelöfen warten auf ihren Einsatz
Die „Süsskartoffelmutter“ ist ein Projekt, um alleinerziehenden Müttern (die vom Staat keine Hilfen erhalten) Arbeit zu verschaffen und eine Gelegenheit zum Geldverdienen zu geben. Bis zu 7 Tage die Woche verkaufen sie Süsskartoffeln an verschiedenen Orten in der Innenstadt Taipehs, am Tag so ungefähr 30-50 Kilo davon. Die Arbeit ist hart – mit Vorbereitung der Kartoffeln und Verkauf kommen schnell 10-12 Stunden Arbeit am Tag zusammen. Und der Verdienst gering – normalerweise um die 30 US-Dollar Nettoverdienst am Tag. Einmal gebackene Kartoffeln müssen am selben Tag verkauft werden, daher stehen die Frauen oft bis spät abends auf der Strasse. Ich kann mir vorstellen, dass die Familien der Frauen keine Süsskartoffeln mehr sehen können.

Gebackene Süsskartoffeln warten auf ihre Kunden
Mit „Lebe wie ein Einheimischer“ („Live Like a Local“) hat jeder die Möglichkeit, für einen Tag das Leben der Süsskartoffelmütter zu teilen und ihnen zu helfen, heisse Ware an Mann und Frau zu bringen. Und so fand ich mich eines heissen Sommertages auf der Strasse an der U-Bahnstation Shandao Temple, Süsskartoffeln auf Chinesisch anbietend.

Die wahre Süsskartoffelmutter und ihre zwei kleinen Helferlein
Bei 34 Grad Tagestemperatur (im Schatten) heisse Süsskartoffeln (in der Sonne) anzupreisen, das ist vielleicht nicht ganz so schwer wie Kühlschränke in der Arktis oder eine Sandstreumaschine in der Wüste zu verkaufen, aber auch nicht viel einfacher. Pamela, eine junge Amerikanerin mit taiwanesischen Wurzeln, war an dem Tag meine Freiwilligen-Kollegin, und wir ergänzten uns hervorragend – sie sprach Chinesisch, ich hatte den Ausländerbonus. Für 8 Stunden (mit zwei Pausen, um unsere schmerzenden Beine zu entlasten) standen wir auf der Strasse und riefen ein Wort, das ungefähr wie „Kau Ti Qua“ klang. Es gibt wenig westliche Ausländer in Taiwan, und eine offensichtliche Ausländerin mit wahrscheinlich seltsamen Akzent das Wort „Süsskartoffel“ rufen zu hören, brachte ein Lächeln auf viele Gesichter, und der wahren Süsskartoffelmutter Geschäfte.

Eine Gruppe von Kundinnen

Kau Ti Qua! Kau Ti Qua!
Es war hart – die Hitze, das lange Stehen, das nach Stunden leicht angestrengte Lächeln auf dem Gesicht – ich fühlte mich, als sei ich im Laufe des Tages 30 Zentimeter geschrumpft bzw. geschmolzen. Schnell teilten wir die allgemeine Welt in zwei Gruppen ein: Glücklich aussehende Kartoffelkäufer, und miesepetrig dreinschauende Kartoffelignoranten. Aber wir schafften es, um 19 Uhr war der Ofen leer, alle Kartoffeln verkauft.

Die letzte Kartoffel des Tages!
Aus Dank nahm sie uns zur Speisung mit in ein urtypisches Restaurant, und danach in einen Tempel, um Dank zu sagen und für uns um eine gute und sichere Zukunft zu bitten.

Dies war meine erste Erfahrung, Dinge auf der Strasse zu verkaufen, und ich habe viel gelernt dabei – es ist sehr harte Arbeit! Ich kann nur hoffen, dass ich Strassenverkäufer nicht so grimmig anschaue, wie einige es taten, oder völlig ignoriere, aber die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich es genau so getan habe. Ich nehme mir vor, im allgemeinen zur Sorte “glücklich aussehende Kartoffelkäuferin” zu gehören, in Zukunft wenigstens ein Lächeln mit einem Kopfschütteln zu verbinden, und grosszügiger zu sein, wenn es um wohltätige Zwecke geht. Es geht doch nichts über die persönliche Erfahrung.

Bei der Arbeit
Ich bin sehr beeindruckt von dem harten Leben der Mamas – ich war fix und fertig am Abend, und konnte Zheng Ma kaum hinterherhecheln. Sie macht dies Tag für Tag, den ganzen Tag, um ihre drei Kinder zu unterstützen, nur den Sonntag hat sie frei.
Wenn jemand nach Taipeh kommt und es mal selber ausprobieren möchte – hier kann man sich anmelden: http://www.topologytravel.com/sweet-potato-mama.html. Es soll kein Geld an die Mamas gegeben werden (das Motto des ganzen Projektes ist Eigenverantwortung), aber man kann ja ein oder zwei Süsskartoffeln abkaufen. Und bitte die Bons beim Einkauf in Taipeh sammeln und ihnen geben, alle zwei Monate kann man mit der darauf gedruckten Nummer in der Lotterie gewinnen.

Ein Projekt für alleinerziehende Mütter