Die Frauen mit den langen Hälsen

_MG_2588Es hat 5 Tage gedauert, aber am letzten Tag verliess ich endlich das Hotel, um mich umzuschauen. Es dauerte wiederum ca. 10 Minuten, und eine Stimme rief „oi, miss, please stop, please talk to me“.

Seit Gambia bin ich leider ein gebranntes Kind (damals wurde ich freundlich, aber sehr bestimmt vom Fischermarkt in ein lokales Dorf gezerrt, wo sich eine Gruppe von – angeblichen? – Waisen vor mir aufbaute, und ich – durch was ich moralische Erpressung nennen würde – um eine kleine Geldspende erleichtert wurde – ok, ich verstehe, dass verzweifelte Situationen verzweifelte Massnahmen benötigen, und bin auch gerne bereit zu helfen, aber sie machen mich nicht unbedingt zum naiven und willigen „Geld auf Beinen“ Touristen).

Wie auch immer, ich stoppte, und hatte einen dieser Momente: Da war dieser junge Mann, der mir mit glühenden Augen von seinem Idol erzählte: Rosamunde Pilcher, deren Romane er alle gelesen hatte; der er Emails schreibt; für deren Leben er täglich betet (sie wurde 1924 geboren); sein Traum im Leben: alle ihre Romane in allen publizierten Sprachen zu haben, und alle verfilmten Bücher zu sehen (viele übrigens im Deutschen!). Wie bizarr kann es werden – wir standen auf einer verstaubten Strasse in der Mitte von eigentlich Nirgendwo, links baten Novizen vorbeikommende Menschen um Geld, rechts balgten sich Hunde um etwas, das ich mir nicht näher ansah, um uns herum einfache Fischerhütten, und vor mir dieser junge Mann, dessen Traum im Leben Rosamunde Pilcher ist? Wow.

_MG_4278Abends dann mein erster Sonnenuntergang am Meer – es ist peinlich, aber ich war so müde in den Tagen vorher, ich hatte sie alle verpasst (kleine Nickerchen auf meinem Balkon :)). Der Sonnenuntergang war relativ unspektakulär, aber dann erschien eine Girlande von Licht am Horizont – die Fischer, die jeden Tag herausfahren aufs Meer und dort die Nacht verbringen, bis sie im Sonnenaufgang ihren Fang nach Hause fahren. Ich hatte mir bislang eine dunkle Nacht auf dem kalten Meer vorgestellt, einsam und furchterregend, die Fischer und das Meer und der Fisch – aber auch diese Illusion ist dahin, das Meer war erleuchtet wie ein Weihnachtsbaum. Sah aber toll aus.

 

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Ein relativ berühmtes Phänomen sind die Frauen mit den langen Hälsen – sie tragen eine Vielzahl von Metallringen um den Hals, deren Gewicht über Zeit das Schlüsselbein und die Schultern herunterdrücken, wodurch der Hals extrem lang erscheint. Es gibt diesen Brauch vereinzelt in Afrika, und bei den Mitgliedern des Padaung Stammes im Kayah Staat, Myanmar. Es wird gesagt, dass die Deformation dazu dienen soll, andere Stämme vom Diebstahl der Frauen abzuhalten. Nicht jede Frau des Stammes muss diese Ringe tragen – es ist – angeblich – freiwillig, und es werden immer weniger Frauen, die dazu bereit sind. Als unser Tourguide vor drei Jahren bei dem Stamm war, gab es noch über 80 Frauen mit Ringen, vor kurzem hat er nur noch ca. 30 gesehen.

_MG_2455Was ich für keine schlechte Entwicklung halte. Ich hatte ein moralisches Problem damit, Bilder von den Frauen zu machen, und ich habe dieses Problem für mich noch nicht gelöst. Einerseits sollen diese Frauen es als grosse Ehre ansehen, die Ringe zu tragen – mit denen sie auch beerdigt werden; und die Frauen, die wir trafen, machten tatsächlich einen recht glücklichen und stolzen Eindruck. Es gibt ein Argument dafür zu sagen: Solange es freiwillig geschieht, wo ist das Problem? Das Problem beginnt natürlich dann, wenn Frauen des Tourismus wegen gezwungen werden, die Ringe zu tragen. Die Tatsache, dass es immer weniger Frauen sind, die sich dazu bereit erklären, deutet darauf hin, dass es zumindest momentan noch eine freiwillige Angelegenheit ist – lange möge es so bleiben.

Da ich nun schon mal da war und Bilder habe, möchte ich diese auch nicht vorenthalten, aber ich weiss immer noch nicht, ob das eine gute Sache ist.

2 responses to “Die Frauen mit den langen Hälsen

  1. Liebe Gudrun,
    Leider kenne ich Dich gar nicht. Deine Geschichten gefallen mir so gut- sie sind ehrlich, voller Selbstironie, beschreiben Deine Eindrücke sehr plastisch, Regen zum Nachdenken an aber auch zum Träumen.
    Ich danke Dagmar für den Tip und freue mich über den Kontakt zwischen Dir und meinem Bruder Matthias, dem ich den Link weitergeleitet habe.
    Bitte gib nicht auf- auch ich hasse Reisetage und muss doch immer wieder raus und sehen, riechen, hören und erleben- ob mit oder ohne Kind.
    Ganz liebe Grüsse
    Margit

    • Liebe Margit, schön dass Du schreibst, und danke für Deine aufmunternden Worte! Dagmar hat mir von Dir erzählt, insbesondere von Deiner Reiseleidenschaft, und ich glaube, wir haben einiges gemein. Ich gebe nicht auf – ich muss nur irgendwie von meinem vielen Gepäck herunterkommen ohne die emotionale Krise zu kriegen, dann geht es gleich viel besser. Ich merke aber, wie sich der Inhalt und das Interessengebiet meines Reisens ändern, ich brauche immer wieder Orte, die ich zu meinem Zuhause machen kann für ein paar Tage, ich muss nicht mehr so viel machen und erleben.
      Ich bin auch froh, dass Matthias in Kontakt getreten ist, ich hoffe, das bleibt so, vielleicht treffen wir uns ja irgendwo auf der Welt. Und ich wünsche euch beiden aus ganzem Herzen alles Gute, ich weiss, dass es gerade nicht leicht ist. Wäre toll, wenn wir uns treffen in der Zukunft, entweder in Deutschland, oder vielleicht, wenn Dich die Reiselust wieder packt? Werde mich in den nächsten Monaten viel in Südamerika aufhalten, wahrscheinlich.

      Viele liebe Grüsse zurück, und lass uns in Kontakt bleiben.

      Gudrun

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